08 Mai Mit Taktgefühl
Wie definiert man Glück? Als die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra im zarten Alter von 19 Jahren ihr erstes Orchester dirigierte, rief sie ihre Eltern an, um ihnen zu sagen, dass, wenn sie jetzt sterben würde, es in Ordnung wäre. Mehr Glück im Faustschen Sinne ist kaum denkbar.
Jung, außerordentlich erfolgreich und sehr attraktiv, eine Übertreibung? Nein, das ist die gelebte Realität von Alondra de la Parra, der 33-jährigen Stardirigentin. Bereits in der Vogue in Mexiko und jetzt im exklusiven Modeshooting für Quality, das in Mexiko stattgefunden hat, inszeniert im Casa Barragán, Künstlerhaus und Atelier des mexikanischen Architekten Luis Barragán. Man merkt ihr an, dass sie Mode liebt ohne selbstverliebt zu sein. Sie ist Vollblutmusikerin und sie liebt ihre Arbeit. Ihre innere Haltung, die von Stärke, Disziplin und Zähigkeit zeugt, wird auch in ihrem Äußeren sichtbar: streng, klar und erhaben. Sowohl in den Bildern, als auch in ihrem Ausdruck blitzen Spuren von Pathos, trotz kontrastierenden mexikanischen Temperaments. 1980 in New York geboren, wuchs sie vor allem in Mexiko-City auf. Als Teenager ging sie alleine nach London und kehrte mit 20 nach New York zurück an die Manhattan School of Music, um Klavier und Komposition zu studieren; immer mit dem Ziel vor Augen, Dirigentin zu werden. Sie ist nicht mehr auf der Suche nach einem Ziel, vielmehr auf der Suche nach Weiterentwicklung und Aufschwung. Um derartig hoch gesteckte Ziele zu erreichen, sind Talent und Disziplin nicht ausreichend. Alondra ist eine Frau, die stolz und fokussiert ihren Talenten folgt. Ihre analoge Karriere als erfolgreiche Konzertpianistin musste sie notgedrungen aufgeben, denn auch für sie gilt die unumstößliche Realität, dass ein Tag nur 24 Stunden hat.
Dirigieren ist bekanntlich einer der härtesten Jobs, eine Arbeit, die insbesondere einer Frau ungemein viel abverlangt. Ihre muskulösen Arme und definierter Oberkörper zeugen von zahlreichen Workouts. Nicht nur das Verstehen der Noten und das Verständnis der Klänge sind ausschlaggebend für ihre Arbeit. Durch die permanente Kommunikation mit Komposition, den Musikern und den Zuhörern, steht ihre Arbeit immer in einem komplexen Bezugsrahmen, der all ihre Sinne in Anspruch nimmt. Leiten und Zuhören, genießen und fordern, empfinden und öffnen. Immer in diesem Modus unterwegs, gründet sie mit 23 das Orchestra of America. „Die Mission des Orchesters besteht vor allem darin, junge amerikanische Musiker zu performen und promoten, von Kanada bis nach Mexiko. Ich glaube, dass auch Lateinamerika ein Teil der großen Klassikwelt sein kann und sein muss.“
Nie wollte sie etwas anderes. Mit 13 wusste sie bereits, was sie werden wolle. Immer tief verankert und geleitet von einer unabdingbaren Liebe zur Musik. Mit 15 erstellte sie zusammen mit ihrem Vater aus einer Laune heraus eine Art Bucket List, mit den Orchestern, die sie unbedingt dirigieren wolle. Anfangs als Spiel gedacht wurde die Liste nur wenige Jahre später Wirklichkeit. Welche Orchester sich noch ungestrichen auf der Liste befinden, will sie nicht verraten. Aber, dass für jedes Nichterreichen ihr Vater ein Abendessen spendiert bekommt, schon. „Mittlerweile denke ich, dass Ziele nicht auf eine Liste gehören. Jedes Orchester bringt Freude. Heute ist mein einziges Ziel aus jedem Orchester das Beste heraus zu holen.“ Die Herausforderung besteht darin, sich als Dirigentin auf die individuellen Belange eines Orchesters einzulassen. Denn jedes Orchester trägt seine eigene Handschrift und verfügt über eigenes Potential.
Am Ende ihrer Ausbildung brannte sie darauf, die Serenade für Streichorchester von Tschaikowsky dirigieren zu dürfen, aber ihr Mentor war anderer Meinung, „Als ich 20 war, riet mir mein Mentor Kenneth Kiesler davon ab, Tschaikowski zu spielen. Seine Begründung, ich habe noch nicht genug gelitten in meinem Leben, ärgerte mich damals sehr. Ich fragte mich, woher er wissen könne, wieviel ich in meinem Leben gelitten hatte? Heute denke ich, dass er Recht hatte. Lebe dein Leben, probiere dich aus und schau dann, was passiert.“ Heute ist sich Alondra der Notwendigkeit des eigenen Lebens mitsamt den eigenen Erfahrungen bewusst, um Musik in ihrer gesamten Konsequenz verstehen, hören und dirigieren zu können.
Vor 20 Jahren galten weibliche Dirigentinnen als exotisch. Heute sind sie immer noch eine Minderheit, aber Alondra de la Parra sieht sich im männerdominierten Beruf keineswegs als Wunderfrau, sondern als kompetente Dirigentin unter ihresgleichen. Sie hat ihren Takt gefunden und es in nur wenigen Jahren geschafft, raus aus dem Raum bloßer Träumereien zu einem florierenden Unternehmen als Künstlerin. „Dirigieren ist für Männer und Frauen gleichermaßen ein schwerer Beruf und ich bewundere jeden, der diesen Beruf ergreift. Wenn man erst auf dem Podium steht, macht es keinen Unterschied, ob männlich oder weiblich. Es geht darum, wer Du bist, wie du dich vorbereitest, welche emotionalen Bande man mit dem Orchester knüpft.“ Trotzdem hatte sie anfänglich Schwierigkeiten, sich in ihrem Beruf als Frau zu zeigen. So versteckte sie sich allzu gerne hinter Zurückhaltung. Nicht männlich, aber weniger mädchenhaft, weniger auffallend. Daran seien immer Vorurteile von Schwäche und Oberflächigkeit geknüpft, Adjektive, die nicht auf sie zutreffen. Auf dem Dirigentenpodest steht sie nahezu immer in schwarz gekleidet. Achtsam und diskret, ein wenig von sich ablenkend. Denn sie sieht sich als Teil des Ganzen, fügt sich dem Konstrukt als zwar leitendes, aber zugehöriges Glied. Privat? Sie liebt Kleider. Sie hat ein großes Faible für Mode. Sie kümmert sich gerne um sich, ihr Äußeres und ihren Körper. Ein wacher Geist in einem gesunden Körper, klingt abgedroschen, zeigt sich aber wieder einmal als Wahrheit. „Ich bin eine Frau und ich liebe es, mich zu Recht zu machen, auf mich und meinen Körper zu achten. Ich liebe Mode und gehe gerne shoppen, wenn ich die Zeit habe. Mit vielen Designern, die mich einkleiden, bin ich auch befreundet. Aber wenn ich dirigiere, muss ich natürlich aufpassen, was ich trage. Ich will gut und weiblich aussehen, aber das Publikum soll sich auf die Musik fokussieren.“
Dafür, dass sie gerade erst angefangen hat, Deutsch zu lernen, kommen die ersten Sätze und Versuche erstaunlich gut über ihre Lippen. Die Sprache ihrer neuen Wahlheimat zu lernen, ist ein persönlich gestecktes Muss für die junge Dirigentin, die während ihrer musikalischen Erziehung vor allem mit deutschen und österreichischen Kompositionen aufwuchs. Man brauche die Sprache und ein Verständnis für die Kultur, um Mozart, Brahms, Schubert und natürlich Bach besser verstehen und interpretieren zu können. „Andere Kulturen bedeuten andere Gesellschaften. Ein Orchester ist immer ein Abbild der Gesellschaft. Über hundert Musiker unterschiedlicher Herkunft mit verschiedenen Backgrounds. Mit der Musik, die alle verbindet. Sprachliche Barrieren existieren dort nicht, denn Musik vermag universal zu einen. Eine internationale Sprache, die Brücken schlägt zwischen Publikum und Musikern.“
Alondra de la Parra ist eine junge Frau, die liebt, was sie tut. Sie war mit Carlos Zedillo, Sohn des ehemaligen Präsidenten Ernesto Zedillo verheiratet, was sicherlich nicht nur in der mexikanischen Klatschpresse breitgetreten wurde. Aber das spielt keine Rolle. Nicht, wenn es um ihre Arbeit, ihre Berufung geht, einer Berufung, der sie alles unterordnet. Schon als kleines Mädchen sei sie immer sehr neugierig gewesen und habe die Herausforderung gesucht. „Wenn irgendetwas einfach war, bin ich stets den schwierigen Weg gegangen. Ich kann nie genug lernen, nie genug Erfahrungen sammeln. Aus diesem Grund bin ich Dirigentin geworden, einer der härtesten Berufe, in dem man nie den Punkt erreicht, an dem man sagen kann, man weiß und kann alles. An das viele Reisen hat sie sich mittlerweile gewöhnt. Gegen das Heimweh hat sie kleine Tricks entwickelt, immer wiederkehrende Rituale, die es ihr erlauben, ihre Heimat Mexiko zumindest emotional immer bei sich zu haben. „Mein Zuhause ist da, wo mein Piano, mein Hund und meine Familie ist.“
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