DER FOTOGRAF IST EIN EINZELGÄNGER - INTERVIEW MIT WIM WENDERS - Quality Magazine
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DER FOTOGRAF IST EIN EINZELGÄNGER – INTERVIEW MIT WIM WENDERS

Foto: © Donata Wenders

Wim Wenders ist wohl der renommierteste Filmemacher Deutschlands. Bekannt wurde er durch Filme wie „Pina“, „Every Thing Will Be Fine“ oder „Das Salz der Erde“. Bei uns spricht über seine Fotografien und das Selbstverständnis als Fotograf oder als Filmemacher. Nach vielen Jahren stellte er erneut in der Galerie Blain Southern in Berlin aus. Virtuosität und Anspruch definieren Wim Wenders in allem was er tut. So wundert es nicht, dass seine menschenleeren Landschaftsfotografien bis zu 4,50 Meter Höhe erreichen. Anders als der Filmemacher verzichtet der Fotograf Wim Wenders auf aufwändige Fototechnik. Als Instrument gegen den Erinnerungsverlust setzt der Regisseur, Fotograf, Maler und Autor abgeschiedene Landschaften ein, die er in Deutschland und den USA seit den 60er Jahren fotografiert hat.

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Es hat lange gebraucht, bis Wim Wenders die nötige Distanz aufbrachte, um seine Heimat zu fotografieren. Wie zum Beispiel an der Elbe.  © Wim Wenders

Was ist Ihre Intention, Ihre Fotografien in Ausstellungen zu transportieren?

Die Hälfte meiner Zeit in meiner beruflichen Laufbahn bin ich Fotograf und das seit 30 Jahren. Ich hatte Ausstellungen in Museen der ganzen Welt, habe fünf oder sechs Bücher produziert und bin eigentlich ganz einverstanden damit, dass ich zwei Berufe habe: Filmemacher, Filmerzähler und den Fotografen, der seine Fotos erzählen lässt. Hier in Berlin war es die erste Ausstellung seit 2001 im Hamburger Bahnhof.

Ist Film und Fotografie für Sie gefühlt gleichwertig?

Der Fotograf Wim Wenders macht alles in Eigenregie, außer die Abzüge. Er reist allein, kann nicht fotografieren, wenn jemand anderes dabei ist. Der Filmemacher braucht immer 20 bis 100 Leute um sich, der Dokumentarfilmer immer zwei oder drei. In diesem Beruf ist man permanent mit Leuten zusammen. Ein Fotograf ist ein Einzelgänger. Heute, wo immer alle etwas von einem wollen und wo man sich aufteilt und ständig erreichbar ist, ist es gut als Fotograf nicht erreichbar sein zu müssen.

Hat sich Ihr Bewusstsein dafür, wie Sie Zeit verbringen möchten im Laufe der Jahre verändert?

Zeit muss man sich heute richtig herausschneiden und dafür kämpfen, dass man seine eigene Zeit hat und nicht aufgefressen wird. Als Fotograf ist man komplett selbstbestimmt, nimmt sich seine Zeit und ist dann für nichts anderes zu haben. Das ist ein großer Luxus. Als Filmemacher bin ich abhängig von vielen Menschen. Angefangen von Schauspielern über Mitarbeiter bis hin zu den Verleihern, der Presse, dem Publikum. Als Filmemacher ist man auf keinen Fall isoliert. Als Fotograf kann ich mich komplett ausklinken.

Haben Sie nie einen Assistenten vor Ort dabei?

Fotograf zu sein, ist ein ziemlich einsamer Beruf. Man geht an einen Ort, um sich zu verlieren. Kaum ist jemand dabei, ist man nicht mehr im Dialog mit dem Ort. Nehmen Sie manchmal Einfluss auf ein Bild? Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich Einfluss nehme auf ein Bild. Es ist nichts retuschiert und nichts verändert. Ungewöhnlich in der heutigen Zeit. Es ist eigentlich das krasse Gegenteil. Ich finde, die Welt so interessant, dass ich keinerlei Bedürfnis habe, in meinen Fotos eine andere Welt darzustellen.

Es finden sich wenig Menschen in Ihren Motiven.

Ich bin geduldig und warte bis sie weg sind. Nur wenn sie weg sind, lässt sich der Zuschauer darauf ein, den Ort erzählen zu lassen und sich umzusehen in dem Ort. Kaum ist ein Mensch da, geht die ganze Aufmerksamkeit auf ihn und der Zuschauer nimmt alles in dem Bild über die Person wahr, die da steht und setzt sie in einen Kontext. Wenn die Menschen der Landschaft eine Bedeutung geben und man sich über sie in die Städte und in die Landschaften hineindenkt und die Menschen die Funktion der Landschaft sind, dann setze ich sie gerne ein. Von weitem. Ich möchte die Spuren unserer Zivilisation fotografieren, und nicht die, die sie herstellen.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie das Unperfekte lieben.Sind die Spuren für Sie das, was die Landschaft unperfekt macht?

Perfektion gibt es in dem Sinne kaum. Perfektion ist etwas, das es als menschliches Produkt gibt. Aber das, was ich fotografiere, nämlich Orte, städtische Orte, Wüstenorte, Landschaften – da ist das Wort Perfektion sowieso nicht angebracht. Das sind ja Orte, die leben. Perfektion ist eher etwas, das man herstellt. Ein Stuhl kann perfekt sein.

Streben Sie denn nach Perfektion?

Ich möchte schon, dass das Bild ganz in sich geschlossen ist und es alles erzählt, das es erzählen kann. Dass es das darstellt, was ich einmal gesehen, gehört oder erlebt habe. Das ist für mich ziemlich nah dran an Perfektion, als Bild. Das was zu sehen ist, ist ziemlich abgerockt.

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Architektur in Kombination mit der Natur sind Lieblingsmotive des Fotografen, zumeist ohne sichtbare Menschen.  © Wim Wenders

Einige Ihrer Bilder wirken wie gemalt und haben eine starke, grafische Struktur. Andere Bilder hingegen, geben eher eine Emotion wieder. Wie gehen Sie vor, ist da zuerst die Emotion oder ist da auf einmal dieser Wow-Moment?

Das ist überhaupt nicht voneinander zu trennen: Die Emotion, dass ich etwas empfinde, mich angesprochen fühle, im wahrsten Sinne des Wortes bewegt bin von einem Ort, von der Geschichte, die er mir erzählt und der Wunsch als Maler, Fotograf, Bildermacher dieses in einem Rahmen zu tun, der wiederum in sich geschlossen ist. Ich wollte immer Maler werden und bin dann auf Umwegen Fotograf und Filmemacher geworden. In meiner Kindheit bin ich immer nur von Malerei beeinflusst gewesen und habe Filme und Fotografie erst in einer Zeit kennengelernt, in der man über das Beeinflusstwerden hinaus ist. Man wird eigentlich am meisten beeinflusst bis man so zehn ist und danach wird es nicht mehr so wichtig. Bis ich zehn war, waren Film und Fotografie für mich komplett irrelevant. Ich wollte nie etwas anderes werden als Maler. Ich habe dann erst später gemerkt, dass man als Filmemacher durchaus Maler sein kann. Auch alles andere, was mich fasziniert, die Musik, die Architektur, das Schreiben, das alles fließt mit ein. Noch später habe ich entdeckt, dass das Fotografieren als Beruf genau so ernst zu nehmen ist, wie das Filmemachen.

Ist das beeinflusst von Ihrem Elternhaus? Oder woher kommt diese starke Affinität zur Malerei?

Dadurch, dass es um mich herum nichts anderes gab als Malerei. Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen. 1945 war die Stadt platt. Alles stand in Schutt und Asche. Das einzige, was ich von der Welt wusste, also dass es etwas anderes gibt, wusste ich von den alten Kunstdrucken, die an den Wänden meiner Eltern hingen. Aber auch vom Brockhaus und von den Museen, in die mich meine Eltern mitgenommen haben. Ich war ein Kind, das die Eltern gezwungen hat, wieder ins Museum zu gehen. Dort war für mich eine Welt zu sehen, die ich nicht kannte, von der ich ahnte, dass es sie geben muss. Sonst hätten die Maler sie nicht malen können.

Können Sie sich erinnern, was das erste Museum war?

Das war das Rijksmuseum. Da wollte ich immer wieder hin. Vor allem haben mir die holländischen Landschaftsmaler gefallen und mein Berufswunsch Maler zu werden, kommt von diesen ersten Erlebnissen. Später habe ich die Malerei besser kennengelernt und auch Malerei studiert.

Würden Sie sich als wertekonservativ bezeichnen?

Eher als rheinische Frohnatur. Meinen Optimismus habe ich aus dem Rheinischen mitgekriegt. Das hat mich am meisten geprägt, die Idee, dass alles nur besser werden kann. Mein Vater war Arzt. Meine Elterngeneration war von dem Wunsch beseelt, dass „man jemand war“. Man wächst da natürlich rein und sieht es dann auch kritisch. Es war eine sehr materiell geprägte Zeit in den 50er Jahren, den Zeiten des Wirtschaftswunders. Ich bin also eher wertekritisch aufgewachsen.

Haben Sie jemals selbstkritische Phasen erlebt?

Ich hatte bereits mehrere Filme gemacht und dachte dann, ich lass es lieber sein. Es war nicht so toll, wie ich dachte und ich wollte lieber Maler sein. Ich habe vieles in Frage gestellt mit dem Filmemachen und bin dann aus Deutschland weggezogen. Nicht zuletzt, um mich neu zu erfinden und um nochmal anzufangen. In Amerika habe ich dann festgestellt, dass ich eigentlich gar keinen „Reset“ brauchte, sondern das bleibe, was ich von Anfang an war.

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Die stillgelegte Achterbahn in Montreal ist nicht nur fotografisch besonders attraktiv, sondern zeigt den Einfluss von menschlicher Zivilisation auf die Natur bis hin zum Verfall.  © Wim Wenders

Ihre Bilder sind zum größten Teil großformatig, zu groß für ein kleines Wohnzimmer. Wo sehen Sie eigentlich Ihre Bilder?

Viele der größten Formate hängen in Museen, hin und wieder auch in Großraumbüros, Werbeagenturen oder in öffentlichen Gebäuden. Ich habe aber auch ein paar kleine. Es gab nämlich eine Menge Leute, die mir gesagt haben, sie würden gerne ein Bild von mir haben, aber solche großen Wohnzimmer hätten sie nicht.

Die kleinen Bilder sind aber auch sehr reizvoll. Was war Ihre Intention, die Bilder so großformatig aufzuziehen?

Weil ich den Zuschauer irgendwohin transportieren möchte. Weil ich ihn dahin stellen will, wo ich einmal stand. Bei großen Formaten steht der Zuschauer in der Landschaft. Er steht davor, so wie ich einmal davorgestanden bin. Für einen Moment möchte ich ihn ganz woanders hin versetzen. Ein kleiner Abzug ist eher ein Objekt, das man sich ansieht.

Gibt es etwas von den großen Formaten, was sie besonders emotional berührt hat, ein Lieblingsmotiv, ein besonderes Bild?

Deutsche Landschaften vor allem, das ist zum Teil Berlin oder die Landschaften an der Elbe. Die sind für mich sehr wichtig, weil ich sehr lange gebraucht habe, um dort zu fotografieren. So nah. Davor habe ich nur fotografiert, wenn ich ganz fern von Deutschland war.

Die Wahrnehmung von Bildern und Sehgewohnheiten haben sich auf rasante Art und Weise verändert. Nehmen Sie diese Veränderungen wahr und gehen darauf ein?

Nehmen Sie die neue, digitalisierte, anders schauende Generation mit in Ihre Bildwelten? Die neue Generation ist auf jeden Fall in der Lage, sich darauf einzulassen. Es ist für sie eher eine Herausforderung: Ein großes Bild ist eine andere Art von Kommunikation als die Bilderwelt eines Handys oder eines Bildschirms. Weil es eine Welt vorschlägt, die so ist wie sie ist. Für viele scheint es eine Provokation zu sein, ein Stück Welt aus erster Hand zu zeigen. Eine ziemlich verrückte Idee für junge Menschen. Weil sie in einer ganz anderen Realität leben. Digitale Bilder sind aber nicht für die Ewigkeit gemacht. Wenn eine neue Generation von Software kommt, sind diese nicht mehr lesbar. Diese Millionen von Instagram Bildern werden in zwanzig Jahren nicht mehr verfügbar sein. Sie sind alle für das Vergessen gemacht. Und das ist ein Versuch meiner Fotografie, dem Vergessen Einhalt zu gebieten. Fotos zeigen immer Vergangenheit und Zukunft. Fotos weisen immer auf das hin, was mal war und was mal werden könnte. Sie sind also immer lebendig und nicht eingefroren.

Es ist erstaunlich, welche Bilder millionenfach angesehen werden und welche nicht.

Bewertet werden Bilder sowieso immer anders. Der Wertekatalog, mit dem ich Bilder betrachte, hat nichts mit dem Wertekatalog zu tun, mit dem sich ein junger Mensch, die Bilder ansieht.

Berührt Sie das Foto ebenso wie das bewegte Bild? Hat das für Sie eine andere emotionale Basis?

Ja. Es ist deshalb emotional, weil ich etwas mit dem Film erzählen wollte. Die Fotos sind anders, da hab ich mir etwas erzählen lassen. Ich war beim Fotografieren so leer, wie es nur ging und das ist von anderer Herkunft. Im Film bin ich so voll, wie es nur geht. Selbst im Dokumentarfilm, obwohl man sich da bemüht, leer zu werden. In der Fotografie kann man da schon als blanker Receiver daherkommen.

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 © Wim Wenders

Es gibt stark politische, reportagige Bilder, die eine große Audience haben und teilweise die Denkweise der Menschen verändern. Das sagt man nie von einem Film. Es sind immer diese einzelnen Bilder, es ist dieser eine Moment. Wie erklären Sie sich das, warum ist das nicht so beim Film?

Solche Bilder gibt es immer wieder, die plötzlich von der ganzen Welt gesehen werden. Kein Film vom World Trade Center könnte das so zusammenfassen wie das eine Bild. Das einzelne Bild hat die Kraft, eine Idee zu kondensieren und eine Idee als solche zu evozieren und durch die ganze Welt zu schicken. Ein Film kann nur Geschichten transportieren. Geschichten sind empfindlicher, müssen weiter erzählt werden, brauchen Kontext. Das Bild braucht keinen Kontext, ist in sich so autark, dass es viel stärker, schneller, eindringlicher und emotionaler ist.

Herr Wenders, ich bedanke mich für diesen interessanten Einblick in Gleiches und Ungleiches, über Einsamkeit und Trübsal.

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Die Narbe inmitten von Berlin von 1995 ist kaum noch vorstellbar. Der Potsdamer Platz ist heute zu einem architektonischen Highlight in Berlin Mitte geworden.  © Wim Wenders

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