Bubenstreich aus Bubenreuth - Quality Magazine
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Bubenstreich aus Bubenreuth

Bubenreuth ist nicht unbedingt eine Weltstadt. Trotzdem hat sich ausgerechnet die rund 4.500 Seelen starke Gemeinde in der Nähe vom mittelfränkischen Erlangen einen Namen im globalen Kulturkreis gemacht. Nicht Galerien internationaler Größe oder Kunstfestivals kosmopolitischen Anspruchs geben dem Örtchen kulturelle Relevanz, ein einzelner Sohn der Stadt lässt wohl so manche Bubenreuther Brust vor Stolz schwellen – Jürgen Teller. Als Sohn einer Geigenbauerfamilie wuchs er in der bayrischen Kleinststadt auf, umgeben von Wald und Wiese, fern von Prunk und Prada – genau der richtige Ort, um ihn auf der Suche nach der Spannung der großen Welt zu verlassen, und zugleich der richtige Platz, um Erdung und Inspiration in der vermeindlichen Banalität des Alltags zu finden. Jürgen Teller hat beide Impulse meisterhaft für sich genutzt. Ist er heute zweifellos einer der herausragendsten Fotografen der Welt, so findet er doch stets zu seinen Wurzeln zurück. Er thematisiert Emotion und Anmut kleinstädtischer Beschaulichkeit, gibt einer Schnappschuss-Ästhetik, wie man sie eher in familiären Fotoalben vermutet, eine künstlerische Dimension.

Mother with Crocodile, Bubenreuth, Germany 2002

Mother with Crocodile, Bubenreuth, Germany 2002

Diese ungewöhnlich schonungslose Herangehensweise an fotografische Techniken brachte ihm in der gefallsüchtigen Welt des modefotografischen Perfektionismus den Ruf des Enfant Terrible ein. Lang schon gilt Teller als einer der einflussreichsten Fotografen seiner Generation. Zwar lässt sein Sinn für subkulturelle Kontexte durchaus Parallelen zu den Geniestreichen Wolfgang Tillmans ziehen und die oft wiederkehrende Thematisierung von Nacktheit und Sexualität – hier allerdings in deutlich charmanterer Dezenz – ähnelt dem Grundtenor eines Terry Richardson, besonders sein unvergleichliches Gespür für Situationen, und die sichtbare Nähe zum Porträtierten  heben Jürgen Teller immer wieder auf den Sockel der Unvergleichlichkeit empor.

Bjork and son, Iceland, 1993

Bjork and son, Iceland, 1993

Als einer der Letzten seiner Zunft lässt Jürgen Teller seine Bilder weitgehend unbearbeitet, hat keine Scheu den Betrachter  auch mit der unansehnlichen Seite der Realität zu konfrontieren. Damit demontiert er immer wieder die glatte Perfektion als Ideal unserer Zeit. In diesem Sinne bleibt er sich dabei treu ,sogar in Modestrecken oder Werbekampagnen. Sind andere Riesen der Szene wie Demarchelier oder Meisel für makellos komponierte Inszenierungen einer fantastischen Welt berühmtt, so fasziniert Jürgen Teller Journalisten und Designer stets mit seiner Fähigkeit, Brüche zuzulassen und ihnen im luxuriösem Rahmen Raum zu geben. Kampagnen für Marc Jacobs oder Céline, Strecken in der italienischen Vogue oder i-D – die großen Namen der Branche liegen Teller zu Füßen. Auch die Prominenz dieser Welt scheint dem Fotografen blind zu vertrauen und lässt sich konträr zum gängigen tadellos retuschierten Bild in unvorteilhafter Pose oder privater Atmosphäre ablichten.

Pettitoe, Suffolk, 2011

Pettitoe, Suffolk, 2011

Damit gehört Jürgen Teller zu den wenigen Fotografen, denen der Erfolg sowohl in der kommerziellen als auch der künstlerischen Fotografie recht gibt, ein Spagat, der seiner kompromisslosen Authentizität zu verdanken ist. Besonderen Reiz haben seine Familienporträts, seien es die Darstellungen seiner Mutter oder die liebevollen Abbildungen seines Sohnes, die einmal mehr Jürgen Tellers unnachahmliches Talent zeigen, den Betrachter seiner Bilder in die persönlichen Bindungen zwischen Fotograf und Fotografierten einzubeziehen.

Cat smoking, Hydra, 2012

Cat smoking, Hydra, 2012

Vom 23. Januar bis zum 17. März zeigt das Londoner ICA – Institute of Contemporary Arts unter dem Titel “Jürgen Teller: Woo!” eine Auswahl an Meisterwerken des Fotografen. Arbeiten verschiedener Zeitabschnitte und unterschiedlicher Kontexte, die in bunter Symbiose die Sicht Jürgen Tellers auf die Welt nachzeichnen und mit Nachdruck beweisen, dass auch – oder gerade – in Bubenreuth Kunstgeschichte geschrieben werden kann.

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