Lisztomania - Quality Magazine
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Lisztomania

Wer die Profession des Popstars für eine transatlantische Erfindung des 20. Jahr- hunderts hält, irrt: Als der junge Franz Liszt durch Europa tourte, fielen die Mädchen reihenweise in Ohnmacht und ließen sich die Jungs die Haare in seinem Stil wachsen. Zu seinem 200. Geburtstag im kommenden Jahr sollte man also durchaus die Erfindung des Pop in Europa begehen

von David Baum

Die Umstände seines Todes waren eines großen Stars zugegebenermaßen nicht würdig. Nichts deutete darauf hin, dass an jenem Sommertag des Jahres 1886 ein Mann verblichen war, der nicht nur Musik und Vortragskunst, sondern auch die Kultur öffentlicher Persönlichkeit grundlegend neu definiert hatte. Aber das Gleiche könnte man ja auch über den Heimgang von Michael Jackson sagen. Franz Liszt jedenfalls war von seiner Tochter Cosima, zu jener Zeit Wagners Witwe und Bayreuther Hügel-Chefin, verstoßen worden und musste in einem fremden Haus, an Lungenentzündung erkrankt, tagelang vor sich hin röcheln und leiden, bevor er verschied, ohne mit den Sterbesakramenten versehen worden zu sein. Die eigene Tochter versuchte den Tod so gut es ging zu verheimlichen, um die Eröffnung der Festspiele nicht zu stören. Außer von Anton Bruckner, der es sich nicht nehmen ließ, ein Requiem auf der Bayreuther Orgel zu spielen, wurden dem toten Musikgenie größere Abschiedshuldigungen versagt.

 

Dabei war genau das sein Metier, das er wie keiner vor ihm beherrschte: die Inszenierung seiner selbst, die Präsentation seiner Musikkunst im immer wieder überraschenden, den Effekt betonenden und Menschen mitreißenden Rahmen. „Liszt war ein Popstar zu seiner Zeit. Warum soll es uns nicht gelingen, seine Musik und sein Genie auch heute unter die Leute zu bringen?“, sagt seine Ururenkelin Nike Wagner, die sich als Intendantin des Weimarer Kunstfestes dem Werk Liszts verschrieben hat. Ihr Kollege Eduard Kutrowatz, einer der Vorsitzenden der internationalen Liszt-Gesellschaft und Intendant des Liszt-Festivals in seiner Heimat Raiding, die damals zu Ungarn und heute zum österreichischen Burgenland gehört, sekundiert: „Er hat nicht umsonst Ludwig IX. zitiert und über sich selbst gesagt: Le concert, cést moi! Er verband seine Musik mit persönlicher Magie und Mystik, die ihn stets umgaben, und begeisterte so die Massen.“ Dies sei allerdings nie Effekthascherei oder Profilneurose gewesen. Sondern stets ein Mittel zur Präsentation seiner Musik, die nicht nur damals als state of the art gegolten hat, sondern auch aus heutiger, musikwissenschaftlicher Sicht ein früher Anklang an die Moderne sein sollte und in jeglicher Hinsicht zukunftsweisend und radikal gewesen ist. „Er hat die Form zu Gunsten der Inhalte gesprengt“, sagt Kutrowatz. „Das Live-Erlebnis seiner Konzerte war einmalig, er improvisierte wie kein anderer, kein Auftritt glich dem anderen.“

Es darf vermutet werden, dass der sogenannte Teufelsgeiger Niccoló Paganini, der 1831 Paris nicht nur wegen seiner Kunstfertigkeit am Saiteninstrument, sondern auch wegen seiner sagenumwobenen Persönlichkeit in begeisterte Aufruhr versetzte, Liszt zu seinem persönlichen Stil inspiriert hat. Jedenfalls begab sich Liszt schon kurz darauf selbst auf eine lange Tournee, die ihn von Paris zurück nach Wien, wo er gelernt hatte, führte und dann einmal kreuz und quer durch Europa: von Moskau bis Kopenhagen, von Edinburgh bis Konstantinopel. Offenbar verfügte Liszt auch über große Ausstrahlungskraft auf die Damenwelt. Reihenweise sollen sie in Ohnmacht gefallen sein, wenn er die Bühne betrat. In London sperrte eine gewisse Lady Blessington, in deren Salon er spielte,die Veranstaltung kurzerhand für Frauen, um den Meister ganz für sich zu haben. Man schätzt, dass Liszt in diesen Jahren in 230 verschiedenen Städten gastierte, insgesamt an die 600 Konzerte gegeben haben muss. Allein in Deutschland spielte er zwischen 1840 und 1845 dreihundert Konzerte, vierzig davon in Berlin. Und er wurde überall frenetisch gefeiert. Legenden breiteten sich aus: Liszt würde in Ekstase am Ende der Konzerte – wir kennen das heute von Rockmusikern und ihren Gitarren – die Flügel zertrümmern. Besonders in Berlin, wo die Lisztomanie krude Ausschweifungen erfuhr, sah sich mancher Beobachter zu beißenden Kommentaren veranlasst. Der Berliner Satiriker Adolf Glasbrenner verarbeitete seine Beobachtungen dieses Übermaßes an Bewunderung, die Franz Liszt entgegenschlug, zu einer dreiaktigen Komödie. Darin schwebt Liszt über jubelnden Damen, eine Adelige namens Baronin von Sinnen schläft ausschließlich auf einem Kissen mit gesticktem Porträt des Komponisten. Am Ende verlässt er die aufgeladene Stadt unter den „Vivat“-Rufen der Massen vorm Hotel Russie, dem heutigen De Rome, in einer vielspännigen Kutsche. „Ist es nicht schön, dass das Talent die Kraft hat, die Politik, die wichtigsten Sorgen des Landes, seine unruhige Gegenwart und seine dunkle Zukunft vergessen zu machen!“, schreibt Glasbrenner zynisch.

Dabei war Liszt alles andere als unpolitisch. Wie heute ein Bono oder Bob Geldof verschrieb er sich benefitären und humanistischen Prinzipien und spendete die Gagen seiner Auftritte großzügig. Auch keiner seiner zahlreichen Schüler musste je für den Meister bezahlen.

Was Franz Liszt außerdem zu einem Phänomen macht, ist seine durch und durch und für die Zeiten des aufblühenden Nationalismus außergewöhnliche europäischen Gesinnung. Obwohl er Sohn deutscher Eltern war, zelebrierte er stets sein gefühltes Ungarntum, wähnte sich als Pariser Bürger, verfasste zwischendurch zum Entsetzen der Franzosen Kompositionen für das deutsche Selbstgefühl. Wie sehr diese Haltung auch die politischen Umstände seiner Zeit beeinflusste, zeigt sein Engagement für die Krönungsfeierlichkeiten des österreichischen Kaiserpaars Franz Josef und Elisabeth zu ungarischen Königen. Dem Protokoll nach hätte der Auftrag für die Krönungsmesse an Hofkapellmeister ergehen müssen, man wählte aber bewusst Liszt und versöhnte damit auch die gegenüber den Habsburgern kritischen Ungarn.

„Trotz dieser Modernität war Liszts Werk lange Zeit nicht mehr en vogue“, sagt Eduard Kutrowatz. Als derheutige Festival-Intendant Werke des Komponisten in seiner Studienzeit spielen wollte, ermahnten ihn seine Professoren, besser davon abzulassen, schließlich handele es sich um einen „Nazi-Komponisten“. Diese absurde Bezeichnung rührt von der Unterlegung der „Deutschen Wochenschau“ der NS-Propaganda mit einer Fanfare aus Liszts „Les Préludes“ – wofür der Kosmopolit und Menschenfreund selbst natürlich nichts konnte.

 

Für 2011 ist nun Liszts großes Comeback geplant. Eduard Kutrowatz wird mit seinem Bruder Johannes, das wilde Vortragsspiel des Meisters imitierend, ein umfassendes Konzertprogramm bestreiten. Stars des Klassikbetriebs wie Daniel Barenboim oder Elisabeth Leonskaja treten auf, insgesamt sind 134 Konzerte im Angebot. Auch Weimar, wo Liszt als Hofkapellmeister wirkte, feiert den 200. Geburtstag mit Konzertreihen und hat dafür klingende Namen wie Martin Stadtfeld und Christian Thielemann im Programm. Zudem wird ein Liszt-Preis für junge Pianisten ausgeschrieben.

Auch die katholische Kirche macht ihren Frieden mit Liszt, der einmal sogar nach Rom gezogen war, um dort Ordensbruder und Kirchenmusiker zu werden. Lange hatte sie das sakrale Werk misstrauisch beäugt, zeigte sich Liszt doch auch hier experimentell und neutönerisch. Zum 200. Geburtstag aber wird im Burgenland der dortige Erzbischof Iby eine seiner Messen zelebrieren. Vermutlich ganz im Sinne von Abbé Liszt mit viel Pathos und dem verschwenderischen Einsatz von Weihrauch.

 

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